Leitsätze für vegetarische und vegane Lebensmittel Darf Fleischersatz wie das Original heißen? Der Streit geht weiter

Ist ein veganes Schnitzel wirklich ein Schnitzel und darf der Bierschinken aus Erbsenprotein "Bierschinken" heißen? Die neuen Leitsätze für vegetarische und vegane Lebensmittel sorgen weiter für Streit. Die Fleischer freuen sich über mehr Klarheit. Doch Hersteller der Ersatzprodukte und der Verein ProVeg wehren sich gegen die Regelungen.

Jana Tashina Wörrle

Original oder veganer Ersatz: Was sich optisch gleicht, unterscheidet sich stark bei dem, was drin ist. Deshalb soll ein veganes Schnitzel nach Ansicht des Fleischer-Verbands nicht "Schnitzel" heißen dürfen. - © Brent Hofacker/Fotolia.com

Im Zentrum der Debatte steht die Verwechslungsgefahr oder nennen wir es die Befürchtung, dass eine Irreführung für Verbraucher entsteht. Es geht um die zahlreichen vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukte, die es im Handel gibt, seitdem vor ein paar Jahren der große Boom rund um die fleischlose Ernährung begann: Sie sehen den Originalen aus tierischen Zutaten oft täuschend ähnlich, kommen in Konsistenz und Geschmack nicht selten nahe an sie heran und so haben sich auch einige Hersteller nicht davor gescheut, sie wie die Originale zu benennen – ob vegane Fleischwurst oder vegetarisches Schnitzel. Der Deutsche Fleischer-Verband (DFV) fordert schon seit einiger Zeit, dass eine Klarstellung im Gesetz nötig ist, wann, welche Bezeichnungen für die Ersatzprodukte verwendet werden dürfen.

Diese Klarstellung gibt es seit Jahresende 2018. So hat die zuständige Deutsche Lebensmittelbuchkommission (DLMBK) neue Leitsätze für "vegetarische und vegane Lebensmittel" vorgelegt und das Bundesernährungsministerium hat sie veröffentlicht. Die DLMBK bestimmt, welche Zutaten und welche Bezeichnungen für Lebensmittel in Deutschland zulässig sind. Der DFV wertet die neuen Bestimmungen als positiv, denn Hersteller von Fleischersatzprodukten sollen die Bezeichnungen von traditionellen Fleischerzeugnissen nun nur unter engen Voraussetzungen verwenden können. Doch ein Bündnis von verschiedenen Herstellern und Vertretern von Vegetariern und Veganern – vorne weg der Verein ProVeg (ehemals VEBU - Vegetarierbund) – wehrt sich mit einer neuen öffentlichen Stellungnahme gegen die Regelungen. Sie sehen darin eine unnötigen Eingriff in das Marktsegment.

Die wichtigsten Änderungen für die Bezeichnung von Fleischersatzprodukten

Das sehen die neuen Leitsätze der DLMBK vor:

Bezeichnungen, die sich auf gewachsene Fleischteile beziehen, z. B. Filet oder Steak, sind laut DLMBK bei fleischlosen Produkten unüblich. Der Gebrauch von Bezeichnungen von geschnittenen Fleischteilen und zerkleinertem Fleisch für vegane und vegetarische Lebensmittel, z. B. Schnitzel oder Gulasch, seien hingegen üblich und etabliert und dürfen daher unter bestimmten Umständen genutzt werden. Grundsätzlich muss dann jedoch an gut sichtbarer Stelle ein Hinweis wie "vegetarisch" oder "vegan" und die maßgebliche ersetzende Zutat vermerkt werden. So gilt:

  • Bezeichnungen für spezifische Wurstwaren wie Schinkenwurst, Bierschinken oder ähnliches dürfen nicht für Fleischersatzprodukte verwendet werden. Allenfalls können die Produkte in der "… Art einer …" oder "… mit …-geschmack" bezeichnet werden. Dies gilt allerdings nur dann, wenn diese dem Produktcharakter der imitierten Wurstware sensorisch, also in Aussehen, Geruch, Geschmack, Konsistenz und Mundgefühl hinreichend ähnlich sind.
  • Ebenso dürfen Anlehnungen an Bezeichnungen wie Schnitzel, Gulasch, Geschnetzeltes oder Frikadellen oder an Kategorien von Wurstwaren wie Brat- oder Streichwurst nur dann erfolgen, wenn die Ersatzprodukte in den sensorischen Eigenschaften eine hinreichende Ähnlichkeit aufweisen.
  • Bei der Produktbezeichnung muss künftig stets "vegetarisch" oder "vegan" sowie die ersetzende Zutat, zum Beispiel "... mit Erbsenprotein" angegeben werden.
  • Die Verwendung von Bezeichnungen spezifischer Fleischteilstücke wie zum Beispiel "Rinderfilet" ist faktisch nicht mehr möglich.
Quelle: DLMBK, DFV

Darf es vegane Schnitzel und vegetarische Salami geben?

Mit dem Verein ProVeg streiten sich die Fleischer allerdings schon seit Jahren darüber, ob es nötig ist, Regeln für die Bezeichnung der veganen und vegetarischen Fleisch- und Wurstimitate festzulegen. So sieht Felix Domke von ProVeg überhaupt keinen Bedarf dafür, prägend in die Produktaufmachung veganer und vegetarischer Fleischalternativen einzugreifen. Er erwähnt eine Umfrage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, die gezeigt hätte, dass die Konsumenten von der aktuellen Kennzeichnungspraxis nicht in die Irre geführt werden. Die Studie zeige, dass nur vier Prozent der Befragten jemals versehentlich statt eines tierischen oder fleischhaltigen Lebensmittels ein vegetarisches oder veganes Produkt gekauft haben – oder umgekehrt. Laut ProVeg werde die vegetarische oder vegane Eigenschaft in aller Regel deutlich auf den Verpackungen kommuniziert, so dass niemand beispielsweise ein "veganes Schnitzel" für ein fleischhaltiges Lebensmittel hält.

Gleichzeitig verteidigt Domke, der in der Politik-Abteilung von ProVeg arbeitet, die Nutzung der Namen der Original-Produkte mit tierischen Zutaten: "Sie sind wichtig, um der Verbraucherschaft Informationen über Geschmack, Textur, Aussehen und Verwendung der Fleischalternativen zu vermitteln". Die Hersteller würden außerdem im Sinne der Käufer selbst Wert darauf legen, die Produkte als Alternativen ausreichend zu kennzeichnen – schließlich sollen die Käufer sie auch finden.

"Bratstück" statt "veganes Schnitzel": Verbraucher brauchen Erklärungen

Dass die vegetarischen und veganen Ersatzprodukte in Aussehen, Verwendungsmöglichkeit und Bezeichnung den tierischen Produkten oft sehr ähnlich sind, ist nach Angaben von ProVeg sogar das Ziel. So würden Alternativprodukte die Chance bieten, Ernährungsgewohnheiten beizubehalten und gleichzeitig die Vorteile pflanzlicher Produkte zu nutzen. Mit Bezeichnungen wie "Bratstück" – die einst der DFV vorgeschlagen hatteoder Ähnlichem müssten die Produzenten der fleischlosen Produkte zusätzliche Erklärungen bereitstellen. Wer das Wort "Schnitzel" liest, weiß dagegen meist sofort, was er erwarten kann in Bezug auf Form, Aussehen und Konsistenz, er weiß, wie er ein Schnitzel zubereiten kann und dass es keine Süßspeise, sondern eine deftige Mahlzeit darstellt. Die neuen Leitsätze kritisiert ProVeg, da die Bezeichnungen komplizierter und unverständlicher würden.

So weist Felix Domke darauf hin, dass die Kategorisierung der Produkte und die daraus resultierenden Vorschriften für die Benennung willkürlich seien. Als Beispiel nennt er die Bezeichnung "vegane Wurst", die weiterhin erlaubt sei. "Vegane Salami" müsste nun aber "vegane Tofu-Wurst nach Art einer Salami" heißen. "Wo aber liegt der Unterschied, gerade für die Verbraucherschaft?", fragt der ProVeg-Mitarbeiter. ProVeg stuft die neuen Leitsätze als sehr komplex und für die Lebensmittelhersteller schwierig umsetzbar ein. So ergibt sich die Prognose, dass die Bezeichnungen künftig Gegenstand von vielen juristischen Auseinandersetzungen sein werden.

Im neuen Statement der Fleischersatzhersteller gemeinsam mit ProVeg heißt es dazu: "Das tiefgehende Eingreifen der DLMBK behindert die Vermarktung veganer und vegetarischer Produkte und erschwert denjenigen die Kaufentscheidung, die zu Alternativen von tierischen Produkten greifen wollen. Des Weiteren sind die Regulierungen teils so vage gehalten, dass sie für die Hersteller nur sehr schwer handhabbar sind." ProVeg hat deshalb auch eine Online-Petition gestartet. Damit möchte der Verein das künftige Europäische Parlament davon überzeugen, sich auch gegen die Leitsätze zu positionieren und kein Gesetz in der gesamten EU werden zu lassen. Der EU-Agrarausschuss hat sich bereits für ein Verbot der Verwendung von Bezeichnungen ausgesprochen, die nah an den nicht-fleischlosen Originalen sind.

Vorgetäuschte Wurstoptik?

Der Fleischer-Verband ist da allerdings ganz anderer Ansicht und bemängelt schon seit langem, dass ProVeg verkenne, dass Wurst, Schinken und Schnitzel auch wegen der charakteristischen Inhaltsstoffe beliebt sind. Denn ein veganes Schnitzel sei nun mal kein Schnitzel und vegetarische Wurst keine Wurst. Es mangle an Geschmack, Geruch und Konsistenz bzw. seien diese einfach anders. Kern der langjährigen Kritik des DFV ist die nicht erfüllte Verbrauchererwartung. So viele Fleischersatzprodukte wie derzeit im Handel zu finden sind, könnte es eben doch zu Verwechslungen kommen.

Zweifelte der DFV lange an der Zulässigkeit der Bezeichnungen der Fleischersatzprodukte, die sehr nahe an den Originalen waren, so steht nun fest, dass es für die Lebensmittelhersteller nun komplizierter ist, wenn sie Fleischalternativen benennen wollen. Der Fleischerverband ist zudem skeptisch, was den gesundheitlichen Nutzen einiger Veggie-Produkte betrifft. So bezieht er sich auf eine Untersuchung der Zeitschrift ÖKO-Test, die bemängelt hat, dass in den Produkten sehr viele Zusatzstoffe enthalten sind. Das sei nötig, um Wasser und Pflanzeneiweiß in eine schnittfeste Masse zu verwandeln und eine "Wurstoptik" vorzutäuschen, so der DFV.

"Nur Form und Aufmachung des Originals zu imitieren, genügt nicht"

Steht eine Klarstellung der EU bislang noch aus und beruft sich die EU-Kommission noch auf die geltenden Bestimmungen ( Verordnung (EU) Nr. 1169/2011) und deren ausreichenden Schutz vor Verbrauchertäuschung, könnten auch hier bald Änderungen anstehen. Bislang gilt: Das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung eines Lebensmittels dürfen nicht suggerieren, dass es eine Zutat enthält, die gar nicht enthalten ist. Zudem muss in unmittelbarer Nähe des Produktnamens die Bezeichnung der ersetzenden Zutat(en) ausgewiesen sein. Durch die Angaben auf den Verpackungen, die meist die Zusätze "vegan" oder "vegetarisch" enthalten, sieht die Kommission bislang keine Verbrauchertäuschung. Der Agrarausschuss zeigt sich derzeit aber schon skeptischer.

Umso mehr freut sich der Fleischer-Verband allerdings jetzt schon, dass sich auf nationaler Ebene Entscheidendes getan hat. Teilte DFV-Vizepräsident Konrad Ammon im vergangenen Jahr noch mit: "Wer auf eine Verpackung draufschreibt, was nicht drin ist, macht sich der Verbrauchertäuschung verdächtig." So spricht er jetzt von einem "guten Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen der Lebensmittelwirtschaft."

Als gesetzliche Grundlage dient in der Problematik die Lebensmittelinformations-Verordnung, die klar vorschreibt, dass Verbraucher, das von einem Produkt erwarten dürfen, was auf der Verpackung steht. "Alleine die Nachahmung der Form kann nicht ausreichen, um die entsprechenden Verkehrsbezeichnungen zu verwenden", so Jentzsch. Lediglich die Aufmachung oder die Form des "Originals" zu imitieren, ist nach Ansicht des Verbandes irreführend. Besser wären demnach für die fleischlosen Erzeugnisse neutrale Begriffe wie "Bratstück". Doch auch mit der jetzigen Fassung der Leitsätze erklärt sich der DFV zufrieden.

EU-Urteil zu Veggie-Produkten

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte im Jahr 2017, dass Bezeichnungen wie "Tofubutter" oder "Veggie-Käse" für rein pflanzliche Produkte unzulässig sind. Die traditionellen Namen sollen den Originalen vorbehalten sein und nicht zu einer Verwirrung der Verbraucher führen.

Der EuGH musste entscheiden, ob vegetarische und vegane Milchersatzprodukte mit den bekannten Namen wie "Milch" oder "Käse" bezeichnet und beworben werden dürfen. Und legte fest, dass sie es nicht dürfen. Die Hersteller dieser Alternativprodukte müssen sich künftig andere Namen ausdenken.

Laut EuGH ist die Bezeichnung „Milch“ allein Produkten vorbehalten die aus der "normalen Eutersekretion" von Tieren gewonnen werden und dies gelte auch für die Nutzung der Begriffe "Rahm", "Sahne", "Butter", "Käse" oder "Joghurt". Die Richter in Luxemburg sahen eine Verwechslungsgefahr für die Verbraucher und diese gelte es auszuschließen.

Veganer Fleischer und vegetarischer Metzger

Der DFV ist übrigens kein grundsätzlicher Gegner von Vegetarischem und Veganem, da viele Handwerksmetzger bereits fleischlose Alternativen mit im Programm haben. Immer mehr Metzgereien bieten ihre Produkte auch bei Caterings und im Partyservice an und hier wächst die Konkurrenz mit Anbietern veganer Speisen.

Erfahrungen mit der Problematik der Namensgebung bei den veganen Alternativen zu Schnitzel, Steak und Co. aus dem Handwerk können jedoch auch ganz anders verlaufen. Statt darin eine Konkurrenz zu sehen, hat beispielsweise Metzgermeister Michael Spahn aus Frankfurt am Main ein Geschäftsmodell daraus gemacht und bringt selbst immer neue vegane Produkte auf den Markt. 25 Prozent seiner Gesamtumsatzes erwirtschaftet der Metzger mittlerweile damit.

Doch auch Michael Spahn sah sich dem Vorwurf der Verbrauchertäuschung ausgesetzt, da er die Namen seiner Spezialitäten zu nah an denen der ursprünglich en Produkte mit tierischen Zutaten gewählt hat. Er hat sich einfach eine ganz eigene Schreibweise ausgedacht, um der Problematik zu entgehen. So stehen auf seiner veganen Produktliste heute "Lebberkees" und "Döner-Vleisch". Die gesamte Geschichte von Michael Spahn, der übrigens mittlerweile selbst Veganer geworden ist, können Sie hier nachlesen.>>>

Zum Thema wird der Unterschied zwischen fleischloser und "richtiger" Wurst, zwischen vegetarischer Alternative und den Originalen auch beim "Vegetarischen Metzger" in Berlin Kreuzberg. Mehr über dieses Ladengeschäft inklusive Imbiss, das bewusst darauf setzt genauso auszusehen wie ein Fleischerfachgeschäft und doch keine tierischen Produkte bietet, lesen Sie hier.>>>