Handwerk vs. Industrie auf europäischer Bühne Warum EU-Politik oftmals am Handwerk vorbei gemacht wird

Das Handwerk wird gelobt, in der Praxis der EU-Politik aber oftmals stiefmütterlich behandelt. Ein Grund: Brüssel orientiert sich lieber an den Interessen der großen Industriekonzerne.

Hajo Friedrich

Handwerksbetriebe fühlen sich von EU-Verordnungen oftmals überrollt und haben Probleme, diese im betrieblichen Alltag umzusetzen. - © lassedesignen - stock.adobe.com

Datenschutz ist gut. Und auch den marktbeherrschenden Internetgiganten mehr auf die Finger zu schauen, ist dringend geboten. Doch mit Blick auf die gerade in Kraft getretene EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dürften sich viele Handwerksunternehmen fragen, ob EU-Kommission und EU-Gesetzgeber auch an den damit verbundenen Aufwand sowie die Risiken für Klein- und Mittelbetriebe gedacht haben. Wohl weniger, wie so oft. Kein Wunder, dass sich viele Handwerksunternehmen immer wieder von neuen oder überarbeiteten EU-Regelwerken überrollt fühlen und klagen, dass die europäischen Gesetzgeber die Belastungen für den betrieblichen Alltag nicht genügend berücksichtigen.

Warum dieses Dauerärgernis? Weil das Handwerk in Brüssel, grob gesagt, von mehreren Seiten in die Zange genommen wird. Nicht nur vom ausgeuferten EU-Verbraucherrecht, sondern auch von Sozialvorschriften, die im Grundsatz begründet sein mögen, aber für grenzüberschreitend tätige kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oftmals mit Ärger verbunden sind. Und von manchen Ländern indirekt auch zur Abschottung vor unliebsamer Konkurrenz missbraucht werden. Dafür stehen zum Beispiel jedoch auch ­EU-Vorschriften, die eigentlich Binnenmarktverhältnisse gewährleisten sollen.

Wirtschaftsgesetze zu Gunsten großer Konzerne

Hinzu kommt eine Wirtschaftsgesetzgebung, mit der Konzerne in der Praxis leichter leben können als ein kleiner Betrieb. Und die auch noch, etwa im Blick auf die internationale Marktöffnung oder einheitliche Standards, eher den Interessen multinationaler Konzerne dient als lediglich lokal tätigen Betrieben. Vor wenigen Jahren hat sich die EU die "Reindustrialisierung" auf die Fahnen geschrieben; auf mindestens 20 Prozent sollte der Industrieanteil bei der europäischen Wirtschaftleistung erhöht werden. "Die Industrie ist der Motor für Innovation, Produktivitätswachstum und Exporte. Sie bietet den Europäerinnen und Europäern hochwertige Arbeitsplätze", heißt es in der EU-Strategie für die Industriepolitik.

Seit Februar 2017 organisiert die Kommission im Vorfeld der Frühjahrstagung der EU-Staats- und Regierungschefs einen Industrietag, für dieses Jahr ist die Errichtung eines hochrangigen Runden Tisches der Industrie geplant. Dagegen gilt das Handwerk in Brüssel offensichtlich nicht unbedingt als Vorreiter von Innovation und Garant von Europas Wettbewerbsfähigkeit in der Weltmarktkonkurrenz. Kein Wunder, dass es statistisch in Brüssel lange Zeit als "industrienahe Dienstleistung" erfasst wurde.

Hinzu kommen soziale und Verbraucherschutzregelungen, die viele gute Gründe haben mögen, aber den Betriebsalltag oftmals nicht gerade erleichtern. Kurz: Die Europäische Union mag eine Industriepolitik haben. Von einer handfesten Politik zugunsten des Handwerks und der anderen Klein- und Mittelbetriebe kann über einige eher symbolische Förderinitiativen hinaus aber keine Rede sein. Und das, obwohl KMU seit Jahrzehnten – in Sonntagsreden – gerne als Rückgrat der Volkswirtschaft tituliert werden. Ihre Bedeutung ist enorm: Rund 90 Millionen Menschen sind in der EU in insgesamt rund 22,3 Millionen KMU, das entspricht etwa 99,8 Prozent aller Betriebe, beschäftigt. Neun von zehn dieser Unternehmen haben weniger als zehn Mitarbeiter.

Handwerks-Lobby in Brüssel schwach aufgestellt

Große Erwartungen waren – in den 1990er-Jahren – mit der Schaffung einer eigenen KMU-Abteilung in der EU-Kommission, der Generaldirektion 23, verknüpft. Doch sie war eher Feigenblatt als mächtiger Streiter für KMU im Brüsseler Maschineraum politischer Rahmensetzungen. Ähnliches gilt etwa auch für die Institution des KMU-Beauftragten, die als Titel zwar noch im Organigramm der Behörde auftaucht. Aber kaum als einflussreicher Bündnispartner der, im Gegensatz zu den Industrie- und Arbeitgeberverbänden, schwach aufgestellten europäischen Handwerks- und KMU-Lobby. Das hat auch damit zu tun, dass sich Interessen des europäischen Handwerks schwerer bündeln lassen als die privater und öffentlicher Konzerne.