Ausländische und non-formale Kompetenzen Anerkennung: Fachkräfte auf Umwegen

Schule, Ausbildung, Beruf – nicht jeder geht diesen geradlinigen Weg. In Deutschland leben zahllose Menschen, die zwar ein fachlich gutes Können haben, denen aber die passenden Zeugnisse dazu fehlen. Wie sie ihre Fähigkeiten anerkennen lassen können und wie Arbeitgeber davon profitieren.

Barbara Oberst

Silvio Vagt arbeitet schon seit 20 Jahren für die Firma Herwig. Durch Valikom hat der gelernte Bäcker jetzt schwarz auf weiß, dass seine Fähigkeiten gleichwertig mit denen eines gelernten Straßenbauers sind. - © Katharina Sussek

Schule, Ausbildung, Beruf – nicht jeder geht diesen geradlinigen Weg. Für Thomas und Kristina Herwig kein Grund, Bewerber abzuweisen. Die Eheleute führen in Olbersdorf, im tschechisch-polnischen Grenzgebiet, ein 20-Mann-Unternehmen für Straßen-, Tief- und Umweltbau. "Bei uns gibt es Mitarbeiter, die einen schweren Start hatten“, sagt Kristina Herwig. Die Meliorationsingenieurin – ein Studium aus DDR-Zeiten, vergleichbar mit dem Bauingenieur – hat positive Erfahrungen mit diesen Fachkräften auf Umwegen gemacht.

Wissen über Jahre erworben

Gute Mitarbeiter zu bekommen, ist nicht einfach in der Branche. "Unsere Arbeit ist schwer. Man ist immer draußen, es ist heiß oder kalt, und es ist körperlich anstrengend.“ Nicht viele seien heute dazu bereit. Silvio Vagt schon, auch wenn eine neuerliche Ausbildung für den gelernten Bäcker nicht in Frage kam. Er erwarb sein Wissen über den Straßenbau in 20 Jahren Mitarbeit bei Herwig. Im Betrieb sind seine Fähigkeiten anerkannt, er arbeitet als Vorarbeiter. Doch er wünschte sich, dass auch offiziell bestätigt wird, was er kann.

Kristina Herwig forschte, wie sie ihm diesen Wunsch erfüllen konnte, und wurde bei "Valikom“ fündig. In dem Pilotprojekt des Bundesbildungsministeriums (BMBF) können ungelernte Handwerker ihre Fähigkeiten validieren lassen. Hierzu beantworten sie schriftliche Fragen. Dann wird der Kandidat zu einer praktischen Prüfung eingeladen, wo Berufsexperten einstufen, ob die Fähigkeiten den Anforderungen des passenden Ausbildungsberufs entsprechen.

Praktische Prüfung inklusive

Auch Pierre Weber hat den Beruf des Straßenbauers nie gelernt, ist aber dank seiner Erfahrung einer der besten Mitarbeiter der Firma. Auch er ließ seine Fähigkeiten jetzt zertifizieren. - © Katharina Sussek

Eine duale Ausbildung kann die Validierung nicht ersetzen. Aber sie verhilft Menschen, die ihre beruflichen Fähigkeiten auf Umwegen erworben haben, zu besseren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt; und sie hilft Betrieben, die Fähigkeiten von Bewerbern ohne Abschluss besser einzuschätzen.

"Valikom“ ist kostenlos; die Kandidaten tragen nur die Fahrtkosten und eventuell Ausgaben für die Arbeitsausstattung. Derzeit gibt es das Programm an den Handwerkskammern Dresden, München und Oberbayern, Hannover sowie Münster. Hier dürfen sich Interessenten aus ganz Deutschland melden. Ab Ende 2018 soll das Verfahren regional und auf 30 Berufe ausgeweitet werden.

Bei der Firma Herwig sind alle Beteiligten mit dem Ausgang der Validierung zufrieden. Weil das Verfahren bei Silvio Vagt so erfolgreich war, hat Herwig auch gleich noch einen zweiten Mitarbeiter, Pierre Weber, motiviert, sich für die Validierung zu bewerben. "Wir als Betrieb wussten ja, was wir an den beiden haben. Aber jetzt haben sie eine richtige Anerkennung“, freuen sich die Herwigs mit ihren Mitarbeitern.

Wege, Kompetenzen einschätzen zu lassen

  • www.valikom.de: Um das Know-How von Menschen ohne formalen Bildungsabschluss sichtbar zu machen, haben vier Handwerkskammern und vier Industrie- und Handelskammern ein gemeinsames Verfahren zur Bewertung und Zertifizierung (Validierung) berufsrelevanter Kompetenzen entwickelt. Das Projekt wird vom Bundesbildungsministerium gefördert und soll nach Ablauf der Projektphase im Oktober 2018 auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Auch jetzt schon können sich Menschen aus ganz Deutschland validieren lassen, indem sie sich an eine der teilnehmenden Kammern wenden.
  • www.anerkennung-in-deutschland.de: Das Portal des Bundesbildungsministeriums informiert Menschen, die eine formale ausländische Qualifikation haben, wie und wo sie diese anerkennen lassen können. Handelt es sich um einen handwerklichen Beruf, sind die Handwerkskammern zuständig. Diese entscheiden, ob der ausländische Abschluss voll, in Teilen oder gar nicht dem deutschen entspricht. Im Rahmen der Anerkennungsverfahren können Kosten entstehen, beispielsweise für Übersetzungen, Beglaubigungen oder für die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen. In bestimmten Fällen übernehmen die Arbeitsagenturen diese Kosten.
  • www.bq-portal.de: Auf diesem Portal bündelt das Bundeswirtschaftsministerium Erkenntnisse über ausländische Bildungssysteme und Berufsabschlüsse.
  • https://anabin.kmk.org: Dieses Portal ordnet vor allem akademische und schulische Abschlüsse aus dem Ausland ein.
  • https://meine-berufserfahrung.de: Das Portal der Bertelsmann Stiftung bietet mittels Online-Test in Deutsch, Englisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch eine erste Orientierung, wie Arbeitsuchende ihre beruflichen Erfahrungen, für die sie keine Abschlüsse besitzen, selbst einschätzen.
    Darauf aufbauend folgt
  • www.myskills.de: In einem etwa vierstündigen, ebenfalls auf sechs Sprachen programmierten Computertest ermittelt die Bundesagentur für Arbeit (BA), mit welchen beruflichen Situationen Bewerber vertraut sind. Bisher gibt es den Test für vier Handwerksberufe: Fachkraft für Metalltechnik – Fachrichtung Konstruktionstechnik, Tischler, Bauten- und Objektbeschichter sowie Kfz-Mechatroniker. Der Test spiegelt die wichtigsten praktischen Arbeitsfelder im betrieblichen Umfeld wider, ohne aber praktische Fähigkeiten zu prüfen. Laut Bundesbildungsmininisterium dient das Verfahren der schnellen Ersterfassung beruflichen Wissens von Menschen ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen.

Verfahren zur Anerkennung genutzt

Die Zahlen zeigen, dass der Bedarf an Anerkennung in Handwerksberufen nicht riesig, aber sehr wohl vorhanden ist. Seit 2012 zählten die Handwerkskammern knapp 12.000 Anträge, im Schnitt sind es derzeit gut 1.200 Anträge pro Halbjahr. In gut der Hälfte aller Verfahren erkannten die Handwerkskammern die volle Gleichwertigkeit der beruflichen Fähigkeiten an, in 34 Prozent der Fälle eine teilweise Gleichwertigkeit. Weitere 6 Prozent erhielten Auflagen für die volle Anerkennung und nur in gut 7 Prozent der Anträge gab es gar keine Gleichwertigkeit.

In der Projektphase von Valikom wurden im Handwerk bisher 49 Validierungsverfahren durchgeführt. Acht Personen erreichten volle Gleichwertigkeit, 38 eine teilweise. Nur in drei Fällen konnte gar keine Gleichwertigkeit bescheinigt werden. In den meisten Fällen hatten Unternehmen ihre ungelernten Mitarbeiter motiviert, teilzunehmen.

MySkills gibt es seit Ende November 2017. Bisher hat die BA knapp 2.000 Tests durchgeführt, am häufigsten in den Berufen Verkäufer und Kfz-Mechatroniker. Zwei Drittel der Tests absolvierten Geflüchtete.