Das dritte Geschlecht und die Arbeitswelt Weiblich, männlich, divers: Was ändert sich wirklich?

Die Geschlechterangaben "männlich" und "weiblich" im Geburtenregister wurden zum 1. Januar 2019 um "divers" für intersexuelle Personen ergänzt. Die nun offiziell bestehende dritte Möglichkeit für eine Geschlechtsbezeichnung hat auch Folgen für Arbeitgeber – etwa in Stellenausschreibungen. Außerdem wird bereits spekuliert, ob sich künftig auch in der Arbeitsstättenverordnung etwas ändert. Die DHZ hat dem Arbeitsrechtexperten Volker Serth von der Kanzlei FPS Fritze Wicke Seelig in Frankfurt am Main die wichtigsten Fragen zur Änderung des Personenstandsgesetzes gestellt. Eine Klagewelle erwartet er nicht.

Jana Tashina Wörrle

Künftig könnten Unisex-Toilette häufiger werden. Einen gesetzlich zu regelnden Bedarf sieht der Gesetzgeber allerdings bislang nicht. - © gballgiggs - stock.adobe.com

DHZ: Herr Serth, müssen Arbeitgeber nun in Stellenausschreibungen immer drei statt bisher zwei Geschlechtsbezeichnungen angeben – also etwa statt zur schreiben "Maler (m/w) oder Friseur/in gesucht" ab jetzt etwa Tischer (m/w/d)? Könnte es als Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gewertet werden, wenn man dies nicht macht?

Serth: Grundsätzlich waren Arbeitgeber schon vor der Änderung des Personenstandsgesetzes dazu verpflichtet eine Stellenausschreibung geschlechtsneutral zu formulieren. Dies hat sich auch nicht geändert. Die Anforderungen an eine neutrale Formulierung sind jedoch gewachsen, da der Arbeitgeber nun die Gleichbehandlung aller drei Geschlechter herausstellen muss. In der Praxis sollte demnach aus der Stellenbeschreibung klar erkennbar hervor gehen, dass alle Geschlechter in gleicher Weise berücksichtigt werden. Eine solche Gleichstellung kann, empfehlenswerter Weise, durch den Zusatz (m/w/d) kenntlich gemacht werden. Dies ist jedoch nicht zwingend der einzige Weg. Theoretisch wäre der Satz: "Uns sind Menschen eines jeden Geschlechts herzlich willkommen." ebenso dazu geeignet eine Stellenausschreibung geschlechtsneutral zu gestalten. Unterlässt der Arbeitgeber jedoch eine solche Kennzeichnung, sucht er also zum Beispiel nach einem Maler (m/w), so kann dies an sich nicht als Diskriminierung im Sinne des AGG gewertet werden. Allerdings intendiert diese Formulierung eine Diskriminierung des dritten Geschlechts in den Fällen, in welchen eine diesem Geschlecht zugehörige Person nicht eingestellt wurde. Dieses Indiz führt dann zu einer Beweislastumkehr, was bedeutet, dass der Arbeitgeber im Prozess beweisen müsste, keine Personen mit diversem Geschlecht diskriminiert zu haben beziehungsweise nachrangig einstellen zu wollen. Dazu wäre beispielsweise die Einstellung einer anderen Person dieses Geschlechts geeignet. In der Praxis ist ein solcher Beweis jedoch regelmäßig schwer zu führen, weshalb eine neutrale Formulierung in jedem Fall zu empfehlen ist.

DHZ: Studien zeigen, dass bislang nur etwas mehr als die Hälfte der Firmen die Bezeichnung "divers" schon in Stellenanzeigen berücksichtigt. Angeblich soll es bald schon die ersten Klagewellen geben. Gehen Sie auch davon aus, dass die Nichtberücksichtigung des dritten Geschlechts bald ein großes Thema an den Gerichten sein wird?

Serth: Nein, davon gehe ich aktuell nicht aus. Es wird sicher zu Urteilen in dieser Frage kommen, aber eine Klagewelle zu erwarten halte ich für überzogen. Auch wenn es keine belastbaren Daten zu diesem Thema gibt, ist wohl aktuell davon auszugehen, dass sich eine vergleichbar geringe Anzahl von Menschen das Geschlecht "Divers" eintragen lässt, auch weil sich viele Berechtigte bereits dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Damit allein ist schon der Kreis der berechtigten Kläger als eher gering anzusehen. Hinzu kommt, dass den sogenannten "AGG-Hoppern" bei fehlender subjektiver Ernsthaftigkeit auch immer noch der Einwand des Rechtsmissbrauches entgegengehalten werden kann, sodass sich auch der wirtschaftliche Nutzen solcher Klagen schnell relativieren dürfte.

Volker Serth ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurter Büro der Kanzlei FPS. - © Kanzlei FPS

DHZ:   Wer kontrolliert die Einhaltung des AGG und welche rechtlichen Folgen kann eine Zuwiderhandlung haben?

Serth: Gleich vorweggenommen, eine originäre oder gar staatliche Stelle, welche die Einhaltung des AGG überwacht, gibt es nicht. Die Einhaltung des AGG ist in erster Linie die Pflicht der Arbeitgeber wie Arbeitnehmer selbst. Sollte also ein Arbeitnehmer durch einen Verstoß gegen das AGG diskriminiert werden, so muss er auch selbst sein Recht geltend machen. Sofern ein Betriebsrat existiert, gehört es zudem auch mit zu dessen Aufgabe, die Einhaltung der Gesetze und damit auch des AGG zu überwachen. Ferner gibt das Betriebsverfassungsrecht durch die §§?17 Abs.?2 S.?1 AGG, §?23 Abs.?3 BetrVG den Betriebsräten bei groben Verstößen gegen das AGG einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch an die Hand. Eine originäre Stelle zur Einhaltung des AGG gibt es aber, wie gesagt, nicht. Bei einem Verstoß gegen das AGG haben benachteiligte Arbeitnehmer ein Beschwerderecht gemäß § 13 AGG und können sich hierzu an die Betrieb eingerichtete Stelle wenden. Daneben können sie gegenüber dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht und einen Unterlassungsanspruch haben. Auch kann ein Verstoß einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld mit sich bringen. Ein Anspruch auf eine Einstellung ist jedoch nicht gegeben. Das heißt im eben angesprochenen Fall einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren kann der Arbeitnehmer sich nicht in den Betrieb einklagen, sondern muss sich auf einen monetären Ersatzanspruch verweisen lassen.

Angabe des dritten Geschlechts "divers": Vergleich nach Bundesland und Branche

Eine Arbeitsmarkt-Analyse der Jobsuchmaschine Adzuna von 620.000 Stellenangeboten zeigt, dass bislang nur in 55 Prozent der Fälle die Angabe des dritten Geschlechts "divers" genutzt wird. Der Vergleich zeigte zudem, in welchen Bundesländern und in welche Branchen die Kennzeichnung des dritten Geschlechts schon verbreiteter ist. Demnach wird "divers" in Sachsen am häufigsten berücksichtigt mit einem Anteil der Stellenangebote von
rund 61 Prozent. Knapp dahinter folgen Thüringen (60,4 Prozent) und Bremen (59,2 Prozent). Den letzten Platz belegt Schleswig-Holstein mit einem Anteil von 48,8 Prozent, dicht gefolgt von Hamburg mit 51,5 Prozent.

Im Vergleich der Branchen schneidet die Logistik am besten ab. So wird in der Logistikbranche das dritte Geschlecht in 69,7 Prozent aller Stellenangebote angesprochen. Im Bereich Handel und Bau berücksichtigen mit einem Anteil von 68,5 Prozent jedoch ähnlich viele Arbeitgeber die neue Option. Am niedrigsten ist der Anteil bei Inseraten aus dem Gesundheitswesen: "divers" wird hier nur in 45,6 Prozent der Inserate angesprochen.

DHZ: Angaben zum Geschlecht sind auch in den verschiedensten offiziellen Dokumenten enthalten etwa denen zur Rentenversicherung oder für die Krankenkasse. Wer hat hierbei nun die Pflicht, Änderungen vorzunehmen, wenn dies der betreffende Arbeitnehmer wünscht?

Serth: Ist das Geschlecht erst einmal im Personenstandsregister geändert worden, so werden diese Daten in der Regel an die Rentenversicherung gemeldet. Anderenfalls reicht hier ein formloses Anschreiben mit entsprechendem Nachweis über die Geschlechtsänderung, wie zum Bespiel der Kopie des Personalausweises. Die entsprechenden Änderungen nimmt die Rentenversicherung also spätestens auf den formlosen Antrag desjenigen vor, der seine Geschlechtsbezeichnung geändert haben möchte und dies bereits im Meldewesen erfassen ließ.

DHZ: Wie lautet die korrekte Anschriften- und Briefanrede einer divers-geschlechtlichen Person? Herr / Frau ist im „d“-Fall ja nicht mehr zu verwenden, da diese Bezeichnungen geschlechterspezifisch männlich bzw. weiblich sind.

Serth: Ich bin der Meinung, dass es "die korrekte Anrede" in der deutschen Sprache nicht, beziehungsweise noch nicht, gibt. Natürlich wird die Frage dennoch aufgeworfen, da wir uns alle sozialadäquat verhalten möchten. Aus der Sicht eines Juristen geht es jedoch „nur“ darum auszudrücken, keinen Menschen aufgrund seines Geschlechtes benachteiligen zu wollen und dies kann schon durch die Verwendung des Gendersterns (*) erreicht werden. Ebenfalls wäre die Anrede "Sehr geehrte Person" ein gangbarer Weg. Dadurch wird die Anrede freilich nicht gerade klangvoll oder als höflich empfunden. Deshalb würde ich in einem Brief an einen divers geschlechtlichen Menschen zuerst immer versuchen, diesen zu fragen, wie er gerne angesprochen werden möchte. Ist mir dies nicht möglich, so würde ich auf den Namen abstellen und das hier vorgegebene Geschlecht im Schreiben übernehmen. Zum Beispiel "Sehr geehrter* Max Mustermann". Hier bezieht sich das Maskulinum ausschließlich auf den Vornamen und die Anrede "Herr" wurde bewusst weggelassen. Zudem zeigt der Genderstern an, dass auch das Dritte Geschlecht erfasst werden soll. Das Schreiben selbst würde ich dann dem Vornamen entsprechend im Maskulinum verfassen. Lässt der Vorname eine geschlechtliche Zuordnung nicht zu, wie Kim oder Noel, würde ich die Anrede "Sehr geehrte Person Kim Mustermann" wählen. Sofern man hingegen mehrere Menschen ansprechen möchte, ist es auf jeden Fall zu empfehlen, den Genderstern zu verwenden und anstatt der Anrede "Damen und Herren" auf eine Gruppenbezeichnung abzustellen. So ist zum Beispiel die Ansprache "Sehr geehrte Mitarbeiter*innen" möglich. Es ist aber nochmal zu betonen, dass es sich hierbei nur um Vorschläge handelt. Rein rechtlich genügt es anzuzeigen, dass man alle Geschlechter gleichermaßen einbezieht und behandelt.

DHZ: Gibt es einen Satz, den man in offiziellen Schreiben und auch beispielsweise in Arbeitsverträgen verwenden, kann, der rechtskonform ausdrückt, dass mit "der Mitarbeiter" immer w/m/d gemeint ist?

Serth: Hier bietet sich natürlich wieder der Genderstern an. Aber generell ist die Verwendung eines jeden Satzes möglich, der dieses Ziel sprachlich ausdrücken kann. Dieser könnte also heißen "Mit der Verwendung des generischen Maskulinums sprechen wir alle Menschen gleichermaßen an, ohne hiermit eine Wertung zu verbinden". Damit wird jedoch nur gesagt, was rechtlich ohnehin gilt. Denn das generische Maskulinum darf in Verträgen verwendet werden, ohne dass hierdurch eine Diskriminierung indiziert wird. Dies hat der BGH letztlich auch mit seiner Entscheidung vom 13. März 2018 zum Ausdruck gebracht. Die Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt die Eintragung des dritten Geschlechts noch nicht möglich war, kann an der Deutung dieses Urteils auch keine Änderung herbeiführen. Denn das Gericht hat eindeutig klargestellt, dass kein Anspruch darauf besteht, mit Personenbezeichnungen erfasst zu werden, deren grammatikalisches Geschlecht vom eigenen natürlichen Geschlecht abweicht. Wer dennoch alle Geschlechter ansprechen möchte, kann natürlich ein Element der Gleichstellung in seine Verträge einarbeiten, muss aber dabei sehr auf die Verständlichkeit achten. Denn ein unverständliches und damit intransparentes Vertragswerk würde in jedem Fall rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

DHZ: Mit der Gesetzesänderung und der Entwicklung dahingehend, dass politisch und gesellschaftlich ein Abschied von der strenger Unterteilung in männlich und weiblich gefordert wird, kommen auch Forderungen nach Unisex-Toiletten und Umkleideräume in die Diskussion. Wird es Ihrer Meinung nach künftig eine Pflicht geben, hierfür immer drei verschiedene Räumlichkeiten anbieten zu müssen – "weiblich, männlich, divers"? Oder könnte es eher einfacher werden, indem es eben auf Unisex-Varianten hinausläuft?

Serth: Soweit Sie hier eine politische und gesellschaftliche Entwicklung ansprechen, ist es schwer, deren Ausgang abzusehen. Aktuell halte ich jedoch Unisex-Toiletten mit unseren soziokulturellen Konventionen für unvereinbar, zumindest insofern sich diese Toiletten nicht auf geschlossene Kabinen beschränken. Ich gehe auch aktuell nicht davon aus, dass es eine Pflicht geben wird, Toiletten für Männer, Frauen und Diverse anzubieten. Sofern der Gesetzgeber hier einen Handlungsbedarf erkennt, wird es wohl auf eine Unisex Toilette "light" hinauslaufen. Denkbar wäre es zum Beispiel, den divers Geschlechtlichen die Nutzung beider Toiletten zu erlauben und dies entsprechend zu kennzeichnen.

DHZ: Wann müssen Arbeitgeber überhaupt Toiletten und Umkleideräume anbieten, die nach den Geschlechtern getrennt sind? Was sieht die Arbeitsstättenverordnung hierbei derzeit vor?

Serth: Aktuell stellt die Arbeitsstättenverordnung es dem Arbeitgeber frei, ob er nach Geschlechtern getrennte Sanitär- und Umkleideräume zur Verfügung stellt oder ob er die nach Geschlechtern getrennte Nutzung eines Raumes ermöglicht. Bei den Sanitärräumen erfährt die Verordnung jedoch eine Einschränkung, hier muss der Arbeitgeber ab einer Anzahl von fünf gleichzeitig Beschäftigten Personen unterschiedlichen Geschlechts nach Geschlechtern getrennte Sanitärräume einrichten. Bei den Umkleideräumen ist eine solche Einschränkung zwar nicht gegeben, liegt aber praktisch dennoch vor, wenn man die normalen Betriebsabläufe bedenkt. So wird es zum Beispiel kompliziert sein, bei 100 Angestellten erst allen Frauen und danach allen Männern einen ausreichen großen Umkleideraum zur Verfügung zu stellen, ohne den Betriebsablauf unnötig zu verzögern.

Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben

Mit dem "Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben" wird das Personenstandsgesetz (PStG) angepasst. Ausschlaggebend für die Änderung ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Oktober 2017. Mit ihr forderten die Richter, dass die bisherige Rechtslage mit nur zwei Geschlechtsoptionen bis Ende 2018 überarbeitet bzw. ergänzt werden müsse. Die Beschränkung auf nur zwei Geschlechtsoptionen verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, urteilte das BVerfG. So wurden die Geschlechterangaben "männlich" und "weiblich" im Geburtenregister werden um "divers" für intersexuelle Personen ergänzt. Neugeborene können dann mit dieser dritten Geschlechtsoption ins Geburtenregister eingetragen werden. Das Gesetz ist am 22. Dezember 2018 in Kraft getreten und gilt seit Jahresbeginn 2019.

Durch die Änderung bestehen nun insgesamt vier Möglichkeiten für die Eintragung ins Geburtenregister. So war es bislang auch schon möglich, den Geschlechtseintragung offen zu lassen. Voraussetzung für die Eintragung "divers" – die auch nachträglich vorgenommen werden kann – ein ärztlicher Nachweis bzw. eine ärztliche Bescheinigung.